InfoForum 02/2025
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Zwischen Schutzstatus und beruflicher Integration
Erfahrungen aus der Anerkennungsberatung mit Geflüchteten aus der Ukraine

Seit dem Frühjahr 2022 hat die Aufnahme Geflüchteter aus der Ukraine neue Herausforderungen für die Anerkennungsberatung geschaffen. Durch den Aufenthaltstitel nach § 24 AufenthG erhalten sie schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt, Sprachkurse und Unterstützungsleistungen im Anerkennungsverfahren. Doch günstige Rahmenbedingungen garantieren nicht automatisch eine erfolgreiche Integration. Das vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) koordinierte Projekt Anerkennungsberatung in Bayern, gefördert vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, reagiert mit bedarfsgerechten Angeboten auf diese Entwicklungen.
Hochqualifiziert, aber orientierungslos – der Bedarf an strukturierter Erstberatung
Rund 80 % der ukrainischen Ratsuchenden verfügen über einen Hochschulabschluss. Besonders häufig vertreten sind Berufe aus dem Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie aus Technik und Wirtschaft – u. a. Lehrkräfte (19 %), Ingenieur*innen (11 %), Betriebswirt*innen (9 %), Wirtschaftswissenschaftler*innen (7 %) und Ärzt*innen (5 %)[1]. Allerdings konnte ihr Aufenthalt in Deutschland auf Grund der Fluchtsituation nicht langfristig vorbereitet werden. Deshalb sind sie auch selten informiert, wie das deutsche Anerkennungssystem funktioniert, welche Schritte erforderlich sind und welche realistischen Chancen sich daraus ergeben. Die strukturierte Erstberatung spielt daher eine zentrale Rolle: Sie macht komplexe Verfahren verständlich, eröffnet klare berufliche Wege und bewertet gemeinsam mit den Ratsuchenden individuelle Optionen. Dabei wird die berufliche Qualifikation nicht nur formal überprüft, sondern im Kontext des deutschen Arbeitsmarktes neu eingeordnet. Ergänzend unterstützt die Qualifizierungsberatung bei der Auswahl passender Weiterbildungen und dem Aufbau langfristiger Berufsperspektiven.
Wenn Nachweise fehlen und Sprache zur Hürde wird
Ein zentrales Problem sind geringe Deutschkenntnisse. Da viele Ukrainer*innen unvorbereitet fliehen mussten, fehlen Sprachkenntnisse, die im Anerkennungsprozess oder im Berufsalltag vorausgesetzt werden. Beratungseinrichtungen setzen deshalb auf einfache Sprache, Visualisierungen, mehrsprachige Materialien und Zusammenfassungen der nächsten Schritte. Zusätzlich vermitteln sie in passende Sprachkurse und informieren über Sprachzertifikate.
Hinzu kommt, dass viele keine vollständigen Unterlagen mitbringen konnten. Oft sind Zeugnisse verloren, beschädigt oder nicht beschaffbar. Die Beratung zeigt dann Alternativen auf – etwa Qualifikationsanalysen, die fehlende Nachweise ersetzen können. Die Beratenden begleiten diese Prozesse mit Geduld, Fachkompetenz und Zuversicht – ein entscheidender Faktor in einer emotional wie bürokratisch herausfordernden Situation.
Zwischen Kriegserfahrung und beruflichem Neuanfang – emotionale Belastungen ernst nehmen
Die psychische Belastung durch den Krieg, die Sorge um Angehörige und die plötzliche Veränderung der Lebensumstände erschweren es, langfristige Perspektiven zu entwickeln. Frustration entsteht besonders dann, wenn der erlernte Beruf – etwa der Lehrerberuf, der bei ukrainischen Ratsuchenden besonders häufig vertreten ist – in Bayern kaum anerkannt werden kann. Die Beratung muss in solchen Fällen sensibel auf Enttäuschungen reagieren und neue berufliche Möglichkeiten aufzeigen. Potenzialanalysen, Weiterbildungen und enge Kooperationen mit Jobcentern, Kammern und Bildungsträgern helfen, Anschlussoptionen zu schaffen und berufliche Alternativen zu entwickeln.
Gerade in einer so fordernden Lebenssituation ist eine enge, niedrigschwellige Beratung von zentraler Bedeutung. Sie nimmt persönliche Belastungen ernst, entwickelt individuelle Unterstützungsstrategien und bleibt auch über längere Zeiträume hinweg für die Ratsuchenden erreichbar. Durch das gemeinsame Planen konkreter Etappen gelingt es, die oft langen Anerkennungsverfahren durchzuhalten – Schritt für Schritt auf dem Weg zu einer neuen beruflichen Perspektive.
Drei Wirkfaktoren erfolgreicher Beratung
Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen: Erfolgreiche Anerkennungsberatung basiert nicht nur auf Faktenwissen, sondern auf drei Schlüsselfaktoren:
- Vertrauen und Stabilität: Eine kontinuierliche Betreuung mit klarer Kommunikation und niedrigschwelligen Zugängen schafft Orientierung.
- Handlungsspielräume eröffnen: Anstelle von Defizitfokussierung steht die Entwicklung realistischer, individueller Wege im Vordergrund.
- Fortschritte sichtbar machen: Langwierige Verfahren erschweren das Gefühl von Fortschritt. Deshalb werden auch kleine Erfolge benannt und gefeiert – das stärkt Motivation und Durchhaltevermögen.
Fazit
Die Anerkennungsberatung in Bayern reagiert gezielt auf die besonderen Bedarfe ukrainischer Geflüchteter – sei es durch strukturierte Erstberatung, niedrigschwellige Kommunikation, Alternativen bei fehlenden Nachweisen oder feinfühlige, engmaschige Unterstützung. Entscheidend für den Erfolg ist eine Beratung, die Vertrauen schafft, Orientierung gibt und individuelle Entwicklung fördert.
[1] Eigene Erhebung der Ratsuchenden in der projekteigenen Datenbank (Auswertungszeitraum: 1.1.2022 bis 30.4.2025)

Ann-Kathrin Liedtke