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„Es kann sein, dass wir von der digitalen Welt entmündigt werden“

Interview mit Denise Gramß, Leiterin Zukunftszentrum Brandenburg und Michael Ney, Leiter Zukunftszentrum Sachsen-Anhalt

Liebe Denise, lieber Michael, ihr beide leitet jeweils ein „Regionales Zukunftszentrum für den digitalen Wandel“. Was bedeutet für euch „Digitalisierung“? Wohin geht die Reise und was genau wird sich für die Menschen ändern?

Michael Ney: Eine einfach klingende Frage, auf die es viele Antworten geben kann. Aus der Perspektive des Zukunftszentrums heraus und als Sozialökonom ist Digitalisierung für mich im Wesentlichen der Aspekt des digitalen Wandels, also das "WIE" der Veränderung unserer Lebens- und Arbeitswelt. Sie ist ein gestaltbarer Erprobungsraum, bei dem noch nicht klar ist, wo die Reise hingeht. Es kann sein, dass wir von der digitalen Welt entmündigt werden und es kann genauso gut sein, dass es uns gelingt, die Lebens- und Arbeitsqualität deutlich zu verbessern. Körperliche Entlastung, Entlastung von Routinearbeiten, Autonomie im Alter – um nur ein paar Schlagworte zu nennen. Das erfordert etwas, was wir in der Zukunftsforschung "Future Literacy" nennen. Dabei handelt es sich um die Fähigkeit, die Möglichkeiten, die uns die Zukunft oder besser die möglichen Zukünfte bietet, zu identifizieren. Das wiederum erfordert Menschen, die befähigt sind, den Potenzialen von Zukunft offen zu begegnen und die Zukunftsfragen des Einzelnen, der Unternehmen und der Gesellschaft mutig zu stellen.

Denise Gramß: Von großer Bedeutung ist dabei der Wandel von Lernen und Arbeiten. Dabei geht es vor allem um den gewinnbringenden und bereichernden Einsatz digitaler Anwendungen. Digital ist nicht per se besser als das Bestehende. Vielmehr sollte eine nutzenzentrierte Perspektive eingenommen werden und der Mehrwert für den Menschen im Mittelpunkt stehen. Kritisches Denken und der kompetente Einsatz von Technologien und Tools sind wesentliche Aspekte im digitalen Wandel. Durch bewusste und am konkreten Bedarf entlang getroffene Entscheidungen für digitale Veränderungen kann das Potenzial digitaler Anwendungen genutzt und gleichzeitig die Akzeptanz der Menschen dafür gefördert werden.

 

Wenn ich es richtig zusammenfasse, versteht ihr beide Digitalisierung als einen Prozess. Würdet ihr sagen, es gibt auch ein Ziel bzw. einen Zustand, bei dem man sagen kann „So, jetzt sind wir digitalisiert“?

Denise Gramß: Aus meiner Sicht gibt es einen solchen Zielzustand nicht. Arbeitswelt, Technologien, Kundenwünsche etc. entwickeln sich stattdessen weiter und unterliegen permanenten Veränderungsprozessen. Darum gilt es stets, Prozesse, Abläufe etc. also Bestehendes zu hinterfragen und ggf. auch anzupassen. Das bedeutet jedoch nicht, alles per se zu digitalisieren. Vielmehr braucht es ein Verständnis der Bedarfe im Unternehmen und seiner Beschäftigten im Hinblick auf Digitalisierung, um derartige Veränderungen menschenzentriert zu gestalten.

Michael Ney: Digitalisierung oder besser noch der digitale Wandel ist ein Prozess, der sich stetig fortsetzt. Zumindest ist das eine mögliche Annahme, an der man sich mittel- bis langfristig orientieren kann. Die Weiterentwicklung digitaler Anwendungen verläuft exponentiell, das zu erwerbende Wissen hat eine sich zunehmend verkürzende Halbwertszeit. Ich muss also, um dem digitalen Wandel zu folgen, in der Lage sein, mich immer wieder auf digitale Innovationen einzulassen. Der Satz "So, jetzt sind wir digitalisiert." oder vielmehr die Erwartung, diesen Satz irgendwann auszusprechen ist bei Unternehmen durchaus vorhanden. Das Unternehmen, das diesen Satz ausspricht und sich darauf ausruht, wird es entsprechend schwerer haben, etwaige Mitbewerber*innen später wieder einzuholen.

 

Helfen Events wie der „Bundesweite Digitaltag“ dabei, diesen Prozess zu beschleunigen und Betriebe wie Beschäftigte daran zu erinnern, sich nicht auf dem Status quo auszuruhen?

Denise Gramß: Der Digitaltag soll u. a. die Vielfalt der Angebote darstellen. Damit erleichtert er den Zugang zu Digitalisierungsthemen. Auch wir als Zukunftszentrum Brandenburg waren mit vier Angeboten dabei. Im Mittelpunkt unserer Veranstaltungen stand die praktische Nutzung digitaler Werkzeuge, aber auch der kompetente Umgang mit digitalem Lernen und Arbeiten. Wir haben gezeigt, wie digitale Veranstaltungen vom Einsatz digitaler Tools profitieren. Darüber hinaus haben wir das Thema Stress adressiert, denn digitales Arbeiten birgt auch die Gefahr, sich stärker unter Druck gesetzt zu fühlen. Als Zukunftszentrum haben wir eine differenzierte Sicht auf Digitalisierung, das Aufzeigen von Chancen und Risiken ist uns ein wichtiges Anliegen. Digitales sollte schließlich vor allem den Menschen dienen und keine zusätzliche Belastung darstellen.

Michael Ney: Der Digitaltag und ähnliche Formate können dazu beitragen, den digitalen Wandel nachhaltiger und kontinuierlich innovativ zu gestalten. Das gilt jedenfalls dann, wenn sie nicht nur eine Bestandsaufnahme liefern, sondern auch einen Ausblick in das Kommende ermöglichen. Als Zukunftszentrum Digitale Arbeit Sachsen-Anhalt haben wir sowohl 2020 als auch 2021 mit dem digitalen Barcamp #DBCSA in Kooperation mit dem Partnernetzwerk Wirtschaft 4.0 teilgenommen. Im Vergleich zu 2020 war das Interesse in diesem Jahr geringer. Vielleicht steigen die Ansprüche der Nutzer*innen, vielleicht spielt auch die sogenannte Zoom-Fatigue, also die sinkende Lust an noch einer digitalen Veranstaltung, eine Rolle. Dem kann man vorbeugen, indem man als Veranstalter einen klaren Benefit für die Teilnehmer*innen schafft. Dieser Herausforderung werden wir uns stellen.


Denise Gramß und Michael Ney, beide f-bb, haben die Projektgruppenleitung am Standort Potsdam bzw. Magdeburg inne. Sie leiten jeweils das Zukunftszentrum Brandenburg bzw. das Zukufntszentrum Sachsen-Anhalt. 

Das Projekt „Zukunftszentrum Brandenburg“ wird im Rahmen des Programms „Zukunftszentren“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds gefördert sowie vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg aus Mitteln des Landes Brandenburg kofinanziert.

Das Projekt „Zukunftszentrum Digitale Arbeit Sachsen-Anhalt“ wird im Rahmen des Programms „Zukunftszentren“ durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und den Europäischen Sozialfonds sowie vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration des Landes Sachsen-Anhalt gefördert.

Beide Projekte werden federführend vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) umgesetzt.