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Lebenslanges Lernen wird zum Gamechanger

Die f-bb-Geschäftsführung über die neue Bundesregierung und Trends in Aus- und Weiterbildung

Liebe Iris, liebe Susanne, der Bundestag startet in seine neue Wahlperiode. Wo liegen für euch die größten politischen Baustellen im Bereich Aus- und Weiterbildung? Welche Themen sollte die neue Bundesregierung angehen?

Susanne Kretschmer: Die Aus- und Weiterbildung hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Ein schnellerer technologischer Wandel, eine sinkende Halbwertszeit von beruflicher Handlungskompetenz und gleichzeitig Fachkräftemangel auf immer breiterer Front: Lebenslanges Lernen und die Organisation dessen wird immer mehr zum Gamechanger. Da sind im Koalitionsvertrag sehr wichtige Ziele und Maßnahmen enthalten – etwa der flächendeckende Ausbau von Berufsorientierung und Jugendberufsagenturen, die Anerkennung gleichwertiger beruflicher Qualifikationen für höhere Karrierewege im öffentlichen Dienst oder die Schaffung des Lebenschancen-BAföG.    

Iris Pfeiffer: Die neue Koalition sollte bei der Umsetzung der geplanten Maßnahmen klare Prioritäten setzen. Aus meiner Sicht gibt es drei TOP-Themen: Die Stärkung der Attraktivität der beruflichen Ausbildung, etwa durch mehr Digitalisierung, bessere Lernortkooperationen und zukunftsträchtige Karrierewege. Dann das Thema Fachkräftesicherung und Begleitung der Unternehmen dabei, etwa auch durch eine bessere Organisation von Qualifizierung. Und drittens das große Thema Nachhaltigkeit.

 

Mit beruflicher Bildung zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft? Das ist erklärungsbedürftig. 

Iris Pfeiffer: Die Ausbildung hat einen großen Einfluss auf unser Berufsleben. Was und wie wir dort lernen, prägt Entscheidungen in Beruf und darüber hinaus. Wenn junge Menschen hier ein Gespür entwickeln – für Vorgänge in der Umwelt, für eine langfristige, sogar generationenübergreifende Sichtweise – dann können sie die Auswirkungen ihres Handelns viel besser reflektieren und entsprechende Problemlösungskompetenzen entwickeln. Azubis haben in Betrieben an vielen Stellen zwar noch kein ausgeprägtes Mitspracherecht. Als Fachkraft später aber sehr wohl. Im besten Fall wächst also eine Generation heran, die ihre in der Ausbildung erworbenen Kompetenzen einsetzen und zu mehr Nachhaltigkeit beitragen kann. Gleichzeitig gewinnen die Ausbildungsberufe an Attraktivität: Einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten, das reizt viele junge Menschen.

 

Welche Rolle spielt dabei die Politik?

Susanne Kretschmer: Die Politik hat hier jüngst Impulse gesetzt durch die Einführung von Mindeststandards im Bereich „Umweltschutz und Nachhaltigkeit“. Diese gelten direkt für alle Ausbildungsberufe, die neu geordnet werden. Für alle anderen haben sie Empfehlungscharakter. Die Umsetzung dieser Standards in den kommenden Jahren sollte eng begleitet werden: Wie gehen Unternehmen in der Praxis damit um? Welche guten, ggf. übertragbaren Lösungen entwickeln sie? Welche Rolle spielen die Standards in Prüfungen? Diese Forschungs- und Transferarbeit kann die Politik organisieren. Außerdem kann die Bundesregierung die Bildungsberichterstattung um nachhaltigkeitsbezogene Indikatoren ergänzen. Das f-bb hat entsprechende Vorschläge im Projekt „Indikatoren berufliche Bildung für nachhaltige Entwicklung {iBBnE}“ erarbeitet. Damit könnte die Politik evidenzbasiert auf Entwicklungen reagieren und erfolgreiche Ansätze über Anreizsysteme in die Breite tragen. Aber auch die systematische Verknüpfung von Nachhaltigkeit mit anderen Themenbereichen wie der Digitalisierung der Bildungs- und Arbeitswelt ergibt Sinn. Die im Koalitionsvertrag angedachte ressortübergreifende Zusammenarbeit könnte hier viele Prozesse beschleunigen.

 

Ihr habt eingangs auch die Fachkräftesicherung zum Top-Thema erklärt. Was könnte die Politik kurzfristig tun, um die sich in vielen Berufen abzeichnende Lücke zu schließen?

Iris Pfeiffer: Fachkräftesicherung ist gemeinsame Aufgabe von Wirtschaft und Politik und eine Investition in die Zukunft. Einerseits geht es darum, den Menschen im Inland Qualifizierungswege zu ermöglichen, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Bildung und beruflicher Erfolg sind in Deutschland immer noch viel zu sehr von der sozialen Herkunft abhängig. Zu viele Jugendliche schaffen den Übergang von der Schule in die Ausbildung nicht oder erst verzögert. Sie wissen nicht um Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten z. B. durch Meisterabschlüsse. Die Politik sollte diese Menschen besser bei der Weiterentwicklung von Kompetenzen unterstützen. Dazu gehören mehr Berufsorientierung und der zielgerichtete Zugang zu Weiterbildung. Dazu gehört auch eine bessere Beratungsinfrastruktur, die Orientierung leistet – welche Weiterbildung ist individuell überhaupt sinnvoll und wie kann die Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt erhalten bleiben? 

Susanne Kretschmer: Ein zweiter Pfeiler besteht in der Zuwanderung von Fachkräften. Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen, haben es immer noch viel zu schwer, eine Arbeit auszuüben, die ihrer Qualifikation entspricht. Stattdessen bleiben sie oft genug in Helferberufen stecken. Die Politik muss die Anerkennungsprozesse weiter vereinfachen und den Zugang dazu für Menschen aus dem Ausland erleichtern. Es braucht außerdem bessere Kompetenzfeststellungsverfahren und Standards für die Ausweisung vorhandener Kompetenzen. Schließlich sollte weiter daran gearbeitet werden, Bildungschancen noch stärker von der sozialen Herkunft abzukoppeln. In einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft und Gesellschaft gehören dazu auch ausreichende digitale Kompetenzen und der Zugang zu Hard- und Software. Wir brauchen eine intelligente und unbürokratische Förderung, die diesen für alle ermöglicht.