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Potenziale erkennen und Wege aufzeigen

Berufsorientierung für Menschen mit Behinderung im ländlichen Raum

Interview mit Emily Schmidt, Beraterin für berufliche Rehabilitation und Teilhabe in der Jugendberufsagentur im Landkreis Bautzen

Frau Schmidt, welche Zielgruppen haben Sie im Blick?

Ich habe die jungen Menschen mit Lernbehinderung an den Förderschulen im Blick, aber auch Menschen mit geistiger, körperlicher oder psychischer Behinderung im Landkreis Bautzen und Görlitz. Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Ersteingliederung von Menschen. Das heißt, Unterstützung für diejenigen, die erstmalig in das Ausbildungs- oder Arbeitsleben integriert werden sollen.

Wie wird die Berufsorientierung im ländlichen Raum umgesetzt?

Wir fangen in der 8. Klasse mit der Berufsorientierung an, indem wir an die Schulen fahren und Angebote der Agentur für Arbeit vorstellen. Wir bringen bald auch das Berufsinformationszentrum (BIZ) in Form von Tablets an die Schulen – sozusagen das „mobile BIZ“. Die Schülerinnen und Schüler können sich damit bei BERUFENET oder BERUFE.TV informieren. Letztgenanntes wird von den Jugendlichen gerne genutzt, weil sie sich kurze Filme anschauen können. Die Videoberatung wird eher selten genutzt, weil die jungen Menschen und ich den persönlichen Kontakt brauchen. Bei Elternabenden sind wir als Agentur für Arbeit und die Berufseinstiegsbegleitung, die beispielsweise Kompetenzanalysen sowie Unterstützung bei Bewerbungen anbietet, vor Ort.

Welche Vorkenntnisse in Sachen Berufswahl bringen die Jugendlichen mit?

Manche sagen, Landwirt werden war schon immer mein Berufswunsch. Aber in den meisten Fällen kommt die Antwort: Ich weiß es noch nicht. Teilweise können die Schülerinnen und Schüler sich recht unterschiedliche Bereiche vorstellen, wie Küche oder Landwirtschaft. Wir sprechen auch darüber, welche Berufe im Rahmen der individuellen Möglichkeiten liegen. Ich finde es an sich schwierig, mit 14 oder 15 Jahren bereits eine Berufswahlentscheidung zu treffen. Häufig sind die Jugendlichen mit ihrer Persönlichkeit noch gar nicht so weit. Wir bieten nach der Schule für ebendiese Maßnahmen zur Berufsorientierung an, damit sie sich noch ein Jahr praktisch ausprobieren können.

Was sind die besonderen Herausforderungen im ländlichen Raum?

Junge Menschen, insbesondere diejenigen aus den Förderschulen, sind trotz ländlichen Raums sehr gut aufgestellt, weil wir direkt an den Schulen Berufsorientierung anbieten. Ich führe Gespräche unter anderem in den Räumlichkeiten meiner Schule in Radeberg und lade die Beteiligten nicht zwingend in die Agentur für Arbeit nach Bautzen ein. Von Radeberg nach Bautzen zu fahren ist für die meisten Jugendlichen zu weit.  Als zusätzliches Angebot gibt es die Berufseinstiegsbegleitung, die in Einzelfällen sogar bis zu den Jugendlichen nach Hause fährt. Die Förderschülerinnen und -schüler müssen zum Beispiel einen Leistungstest bei der Agentur in Bautzen durchlaufen, um zu klären, ob eine Lernbehinderung vorliegt und auf welchem Niveau die Ausbildung möglich ist. Ich versuche diese Fahrten gemeinsam mit der Berufseinstiegsbegleitung im Klassenverband zu organisieren.

Die Mobilität ist auch ein Problem mit Blick auf die Ausbildung. Einige Jugendliche sagen: Ich kann die Ausbildung nicht machen, denn ich komme dort nicht hin. Die Jugendlichen müssen längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen. Das gehört auch zum Thema Ausbildungsreife: Dass ich bereit bin, auch mal eine halbe Stunde auf den Bus oder die Bahn zu warten, ein Stück zu laufen oder umzusteigen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Berufsorientierung?

Bezogen auf die Angebotsseite für Förderschülerinnen und -schüler sind wir breit aufgestellt und arbeiten stets an neuen Ideen. Auf der Empfängerseite – zum Beispiel bei den Eltern – gibt es Weiterentwicklungsbedarf. Sie müssen aktiver mitwirken. Es gibt Eltern, die wegen ihrer Arbeit keine Zeit haben, ihr Kind zum Beratungstermin zu begleiten. Deshalb steht die Berufseinstiegsbegleitung auch in engem Kontakt zu ihnen und informiert über den Beratungsinhalt. Doch auch einen Elternabend um 19 Uhr nehmen nicht immer alle wahr, obwohl dort wichtige Informationen vermittelt werden. Ich wünsche mir für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit mit den Eltern.

Das Interview erfolgte im Rahmen der Arbeit der vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) getragenen Landesservicestelle im Förderprogramm „Jugendberufsagenturen Sachsen (JubaS)“. Dabei unterstützt das f-bb die regionalen Jugendberufsagenturen bei ihrem Ziel, junge Menschen beim gelingenden Übergang von der Schule in den Beruf durch eine strukturierte, zuständigkeits- und rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit der beteiligten Institutionen zu begleiten. In ländlichen Gebieten haben junge Menschen häufig einen eingeschränkteren Zugang zu Berufsmöglichkeiten und Beratungsangeboten als in der Stadt. Zudem ist die Arbeit der Jugendberufsagenturen im ländlichen Raum durch andere Rahmenbedingungen geprägt, beispielsweise weite Wege für Beratungsgespräche oder die mitunter fehlende Sichtbarkeit von Jugendberufsagenturen. Das f-bb bietet hierfür digitale Schulungsangebote zu Themen wie „Onlinekommunikation mit jungen Menschen“ an, um die Arbeit der Jugendberufsagenturen im ländlichen Raum zu stärken.