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"Dem Ingeniör ist nichts zu schwör"

Neue Analyse beschreibt Chancen für Ingenieur*innen mit ausländischer Qualifikation

Ob Daniel Düsentrieb, der schusselige Erfinder aus Entenhausen, der den legendären Wahlspruch der Ingenieur*innen geprägt hat, mit seinem ausländischen Abschluss wohl problemlos eine qualifikationsadäquate Beschäftigung in Deutschland gefunden hätte? Angesichts des Fachkräftemangels und der vielen offenen Stellen in MINT-Berufen mag es einfach erscheinen, als qualifizierte Fachkraft eine Beschäftigung in der Ingenieurbranche zu finden. Doch wie stehen die Chancen für Ingenieur*innen mit ausländischer Qualifikation tatsächlich? In der Situationsanalyse „Berufliche Anerkennung von Ingenieur*innen mit einer im Ausland erworbenen Berufsqualifikation“ der am Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) ansässigen IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung wurde dieser Frage auf den Grund gegangen.

Zwischen 2019 und 2021 war „Ingenieur*in“ in der IQ Anerkennungs- und Qualifizierungsberatung Platz 2 der häufigsten Referenzberufe. Das überrascht, da für die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung im Ingenieurbereich die formale Berufsanerkennung im Normalfall nicht nötig ist. Ingenieur*innen können sich also direkt mit ihrem ausländischen Zeugnis auf eine Stelle bewerben. Ergänzend kann eine Zeugnisbewertung der Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) hilfreich sein, die die beruflichen Verwendungsmöglichkeiten der Qualifikation für deutsche Arbeitgeber*innen transparent macht.

Als "Ingenieur*in" bezeichnen darf sich allerdings nur, wer einen Bescheid über formale Gleichwertigkeit des ausländischen Abschlusses mit der deutschen Qualifikation vorweisen kann, da der Beruf landesrechtlich reglementiert ist. Bei der Gleichwertigkeitsprüfung wird bei Ingenieur*innen im Vergleich zu anderen reglementierten akademischen Berufen keine Prüfung der Studieninhalte vorgenommen. Die Bewertung findet nur anhand dreier Kriterien statt: ob das Studium eine technische oder naturwissenschaftliche Fachrichtung hatte, ob die Studiendauer mindestens sechs Semester Vollzeit im Umfang von 180 ECTS betrug und ob die Anteile der Studieninhalte in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik ausreichen. Wie hoch dieser Anteil der MINT-Fächer sein muss, ist in den Bundesländern unterschiedlich definiert. In den meisten Ländern genügt ein „überwiegender“ Anteil im Studium, genaue Vorgaben von 50 Prozent (Hessen) und 70 Prozent (Niedersachsen) sind die Ausnahme. Grundsätzlich läuft die Anerkennung sehr gut: Nur 2 bis 3 Prozent aller Anträge zum Referenzberuf "Ingenieur*in" wurden in den Jahren 2016 bis 2020 negativ beschieden, meist wird die volle Gleichwertigkeit beschieden.

All dies legt die Vermutung nahe, dass die Anerkennung und damit die Erlaubnis zur Titelführung Formsache und auch der Arbeitsmarktzugang problemlos möglich ist. Zentrale Erkenntnis der Situationsanalyse ist jedoch, dass die Einmündung in den Beruf nicht so reibungslos vonstattengeht, wie die Rahmenbedingungen vermuten lassen.

Das zeigt sich bereits in der Anerkennungsberatung, wo neben Fragen zur Bedeutung des Anerkennungsverfahrens und zu Qualifizierungsmöglichkeiten auch viel Austauschbedarf zum deutschen (Ingenieur-)Arbeitsmarkt besteht. Hier fehlt es laut IQ Berater*innen an Wissen zum Bewerbungsmanagement und Arbeitsmarktkenntnissen. Die ausländischen Fachkräfte sind sich außerdem unsicher, welche Erwartungshaltung deutsche Arbeitgeber*innen hinsichtlich überfachlicher Fähigkeiten haben, die zum Berufsalltag gehören (z. B. Projektmanagement).

Obwohl die Anerkennungsquote so hoch ist und in der Regel keine Ausgleichsmaßnahme absolviert werden muss, besteht bundes- und fachrichtungsweit ein hoher Qualifizierungsbedarf für Ingenieur*innen. Zwischen 2019 und 2021 befanden sich 88 Prozent aller Ingenieur*innen, die IQ Qualifizierungen besuchten, in Brückenmaßnahmen. Diese unterstützen beim Einstieg in den Arbeitsmarkt und knüpfen an einige Aspekte an, die bereits im Rahmen der IQ Beratung thematisiert werden. Die meistbesuchten IQ Brückenmaßnahmen beinhalten vor allem Themen wie arbeitsplatzbezogene Kommunikation und Kenntnisse zum deutschen Arbeitsmarkt und der deutschen Arbeitskultur. Auch Praxisanteile, fachsprachliche Begleitung und Mentoring-Partnerschaften gehören häufig zum Programm der Brückenmaßnahmen bzw. ergänzen diese. Gemeinsamer Nenner der von Ingenieur*innen absolvierten IQ Qualifizierungen ist Empowerment. Aspekte wie Fachsprachlernen, Netzwerken und Selbstpräsentationstechniken führen dazu, dass Ingenieur*innen gegenüber Arbeitgeber*innen ihre Interessen formulieren und vertreten können.

Weitere 12 Prozent der Ingenieur*innen in IQ Qualifizierungsangeboten nutzen Qualifizierungsbegleitungen oder Fachsprachkurse. In den Qualifizierungsbegleitungen werden individuelle Qualifizierungspläne erstellt und Informationen und Hinweise auf Lern-, Arbeits- und Qualifizierungsmöglichkeiten vermittelt. Die verbleibenden 0,4 Prozent der Ingenieur*innen waren in Anpassungsqualifizierungen in einem nicht reglementierten Beruf, wechseln also bspw. ins Handwerk, oder sind in Vorbereitung auf die Externenprüfung, um einen deutschen Abschluss in einem dualen Beruf zu erwerben.

Wenn sich ehemalige Ratsuchende bzw. Teilnehmende einer Qualifizierungsmaßnahme erneut an IQ Mitarbeitende wenden, wird häufig berichtet, dass Arbeitgeber*innen den Anerkennungsbescheid bzw. die ZAB-Bewertung nicht als ausreichenden Nachweis der Qualifikation des*der Bewerber*in mit ausländischem Abschluss akzeptieren bzw. vorgeben, mithilfe der (ausländischen) Dokumente kein Urteil über dessen*deren Eignung fällen zu können. Dieser Zurückhaltung wird in einigen IQ Landesnetzwerken bereits bewusst entgegengewirkt: Arbeitgeber*innen können Teilnehmende in Brückenmaßnahmen oftmals durch Probearbeiten kennenlernen und sich so ein praktisches Bild der Qualifikationen machen.

Außerdem wird in der Situationsanalyse empfohlen, allgemeine Informationen zum deutschen (Ingenieur-)Arbeitsmarkt in Beratungsinstanzen zu vermitteln, die der IQ Anerkennungsberatung vorgelagert sind, z. B. Jobcenter und Agenturen für Arbeit. Die Anerkennungsberatung könnte sich dann auf ihre Kernthemen konzentrieren (z. B. Gleichwertigkeitsprüfung, ZAB-Bewertung, Qualifizierungsangebote). Übergreifend relevante, theoretische Qualifizierungsbausteine könnten überregional in einem virtuellen Format vermittelt werden, bei Bedarf gepaart mit Praxisphasen vor Ort in den Regionen. Daran anknüpfend könnte eine verstärkte Aufklärungsarbeit (bspw. in Form von Best-Practice-Beispielen für Unternehmen) verdeutlichen wie die Arbeitsmarktintegration von Ingenieur*innen mit ausländischer Qualifikation gelingen kann.

Denn: Die sehr hohe Zahl positiv beschiedener Anerkennungsverfahren bei Ingenieur*innen zeigt, dass dem deutschen Arbeitsmarkt durchaus formal qualifizierte Ingenieur*innen zur Deckung des Fachkräftebedarfs zur Verfügung stehen. Ihr Potenzial wird nur noch nicht vollständig ausgeschöpft.

In der Situationsanalyse werden aktuelle Strukturen und Prozesse der beruflichen Anerkennung von Ingenieur*innen aufgezeigt und auf Empfehlungen für verschiedene Akteure im Handlungsfeld hingewiesen. Die Publikation basiert auf Recherchen der durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und dem Europäischen Sozialfonds geförderten IQ Fachstelle Beratung und Qualifizierung und Praxiserfahrungen von Beratungs- und Qualifizierungsträgern im IQ Netzwerk. Ebenso floss die Expertise der IQ Fachstellen Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung und Berufsbezogenes Deutsch mit ein.