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„Dazu kann die berufliche Bildung in herausragender Weise beitragen“

f-bb veröffentlicht Denkanstoß für Umsetzung des Europäischen Grünen Deals

Liebe Kristin, lieber Heiko, das f-bb hat einen Denkanstoß veröffentlicht, in dem es um die Umsetzung des Europäischen Grünen Deals geht. Was ist der Europäische Grüne Deal und welche konkreten Vorschläge enthält der Denkanstoß?

Heiko Weber: Mit dem Europäischen Grünen Deal möchte die EU-Kommission Maßnahmen auf den Weg bringen, um den Klimawandel zu bekämpfen. Sie bereitet derzeit genau zu diesem Thema eine Empfehlung vor, zu der wir mit dem Denkanstoß Impulse aus wissenschaftlicher Sicht geben. Ziel des Grünen Deals ist die ökologische Umgestaltung und Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Dazu kann die berufliche Bildung übrigens in herausragender Weise beitragen. Denn gerade in der Berufsbildung werden Kenntnisse, Fähigkeiten und Einstellungen vermittelt, die ein nachhaltigeres Wirtschaften ermöglichen.

Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass wir – jedenfalls in Ländern mit dualer Berufsausbildung – Betriebe zu nachhaltigen Lernorten machen. Wie das gelingen kann und wie die Politik diesen Prozess gestalten und fördern kann, das haben wir in dem Denkanstoß zusammengetragen. Erstens zeigen wir darin auf, wo genau Unternehmen ansetzen können, um Nachhaltigkeit in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung zu etablieren. Zweitens regen wir an, Ausbildungs- und Lehrpläne anzupassen und das Bildungspersonal – also Ausbilderinnen und Ausbilder, ausbildende Fachkräfte – in diesen Fragen zu qualifizieren. Und drittens geht es darum, den Prozess mit Indikatoren zu steuern und gezielt Anreize zu schaffen.

 

Mal angenommen, ein Unternehmen möchte Nachhaltigkeit in seiner Aus- und Weiterbildung etablieren. Wo stecken die größten Potenziale oder anders gefragt: Welche drei Maßnahmen entfalten die beste Wirkung für Betrieb, Azubi und Gesellschaft?

Heiko Weber: So pauschal kann man das leider nicht sagen. Stattdessen muss man für jedes Unternehmen schauen, was individuell funktioniert und für welche Maßnahmen Entwicklungsbereitschaft vorhanden ist. Was wir gemacht haben ist, die denkbaren Maßnahmen zu systematisieren und Gestaltungsbereiche zu bilden. Das hilft Unternehmen insofern, als dass sie Orientierung im Dschungel der Möglichkeiten erhalten und einen betriebsspezifischen Weg einschlagen können.

Im ersten Gestaltungsbereich geht es etwa darum, dass Unternehmen sich über die eigenen Betriebsgrenzen hinaus engagieren, also zum Beispiel für soziale, ökologische und kulturelle Bildungsprojekte in der Region oder in der Berufsorientierung von Schüler*innen. Im zweiten Gestaltungsbereich schlagen wir die Entwicklung von betrieblichen Leitbildern vor. Wenn dabei Nachhaltigkeitsaspekte mitbedacht und Mitarbeitende bei der Erarbeitung beteiligt werden, stärkt dass das Commitment. Bei Gestaltungsbereich Nummer drei geht es darum, wie bestehende Lern- und Arbeitsumgebungen genutzt werden können, damit sie nachhaltigkeitsbezogene Inhalte besser transportieren. Hier spielt auch die Qualifizierung des Bildungspersonals sowie der Führungskräfte eine Rolle. Und letztlich geht es um die konkrete Lehr- und Lernsituation und damit wären wir beim vierten Gestaltungsbereich. Wenn es ein Unternehmen schafft, den Lernenden entlang alltäglicher betrieblicher Arbeits- und Geschäftsprozesse die lokalen, regionalen und globalen Wirkungszusammenhänge des eigenen Handelns und die damit verbundene Mitwirkung an einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung zu vermitteln, wäre schon viel erreicht.

 

Ihr habt vorhin von Indikatoren gesprochen, mit denen sich Prozesse steuern lassen. Können Unternehmen damit messen, wie ihre Ausbildung in Sachen Nachhaltigkeit aufgestellt ist?

Kristin Hecker: Im Grunde ja. Ich kann das an einem Beispiel verdeutlichen: Ein möglicher Indikator könnte der Anteil an nachhaltigkeitsbezogenen Weiterbildungen beim Ausbildungspersonal sein. Wir nehmen an, dass entsprechend geschultes Personal in der Lage ist, dieses Wissen an Auszubildende weiterzugeben. Nun kann sich ein Betrieb hier Ziele setzen und ggf. Maßnahmen ergreifen, um die Ziele zu erreichen. Der Indikator könnte auch deutschlandweit eingeführt und seine Entwicklung auf bildungspolitischer Ebene beobachtet werden. Damit hätte die Politik ein Werkzeug in der Hand, um weitere Maßnahmen zu ergreifen, etwa – falls die Zahlen entsprechendes signalisieren – Anreize zu schaffen um Betriebe zur Qualifizierung ihres Ausbildungspersonals zu motivieren.

Viel besser wäre es natürlich, wenn Unternehmen sich aus eigenem Antrieb nachhaltiger aufstellen. Dafür sind die von uns vorgeschlagenen Gestaltungsbereiche und Indikatoren auch geeignet. Der Nutzen für Unternehmen liegt auf der Hand: Dieser liegt z. B. in der Steigerung der Attraktivität gegenüber Kund*innen, Fachkräften und Auszubildenden.

 

Mehr nachhaltigkeitsbezogene Ausbildungsinhalte – Sind die Unternehmen in Deutschland aufgeschlossen für dieses Vorhaben?

Kristin Hecker: Studien, bei denen ausbildungsbereite Unternehmen danach befragt wurden, legen das nahe. Viele Betriebe verfolgen bereits Nachhaltigkeitsziele z. B. beim Ressourcenverbrauch, bei Beschaffung und Lieferketten. Einige Unternehmen sehen darin im Ergebnis auch Vorteile für sich. Gleichzeitig sehen sie weiteren Entwicklungsbedarf, nicht selten formulieren sie ambitionierte Ziele, um dann bei der Umsetzung doch nicht über die gesetzlichen Regelungen hinauszugehen. Es gibt also noch Handlungsbedarf.


Kristin Hecker ist Projektgruppenleiterin am f-bb. Heiko Weber ist Projektkoordinator am f-bb.